Wie entstehen gewisse Produkte und was hat der Spritzguss damit zu tun? Nachfolgend ein Einblick über die Bedeutung und Geschichte von Spritzgiessen.
Max Jedermann sitzt am Frühstückstisch und löffelt einen Joghurt. Die Uhr mahnt zum Aufbruch. Rasch Zähneputzen, den Fahrradhelm aufsetzen und in die Pedale treten. An den Autos, die Stossstange an Stossstange im Stau stecken, vorbeiziehen. Im Büro den PC anschalten und während der Arbeit mehrere Tassen Kaffee trinken. Am Ende des Tages geniesst Max den Feierabend. Er schiebt einen Spielfilm in den DVD-Player. Entspannt freut er sich auf den bevorstehenden Urlaub mit dem Surfbrett am Strand.
Joghurtbecher, Zahnbürste, Helm und Stossstange; Computer, Kaffeemaschine, DVD-Player und Surfbrett: Diese alltäglichen Gegenstände haben eine Gemeinsamkeit. Sie bestehen komplett oder teilweise aus Kunststoff und zu ihrer Herstellung bedient sich die Industrie des Spritzgussverfahrens.
Es gab zu wenig Elefanten – Die Entstehungsgeschichte der Spritzgusstechnologie
Der erste thermoplastische Kunststoff, das sogenannte Parkesin, entstand im Jahr 1855. Der Brite Alexander Parkes entwickelte ihn aus Zellulosenitrat und Kampfer. Er präsentierte seine Erfindung auf der Londoner Weltausstellung im Jahr 1862 der Öffentlichkeit. Bedauerlicherweise blieb ihm der wirtschaftliche Erfolg verwehrt. Indes bildeten die Rohstoffe, welche er einsetzte, und das Verfahren, das Parkes anwendete, die Grundlage für einen neuartigen Werkstoff: das Zelluloid.
Wie kommen die Elefanten ins Spiel?
Im Jahr 1860 lobte ein amerikanischer Billardkugelhersteller ein Preisgeld in Höhe von 10.000 US-Dollar für die Entwicklung eines Elfenbeinersatzmaterials aus. Zur damaligen Zeit reichte die Elefantenjagd nicht aus, um den hohen Bedarf an Elfenbein für Luxusartikel und Billardkugeln zu decken. Der US-Amerikaner John Wesley Hyatt meldete 1865 ein Patent für Billardkugeln aus Zelluloid an, die er mit Schellack und Elfenbeinstaub überzog.
Mit dem neuen Kunststoff war die Industrie in der Lage, Elfenbeinprodukte nachzuahmen.
Hyatts experimentierte nicht nur mit Kunststoff, sondern auch mit maschinellen Verfahren zur Herstellung von Kunststoffprodukten.
Im Jahr 1926 brachte ein Nürnberger Maschinenbauunternehmen die erste Kolben-Spritzgussmaschine auf den Markt. In den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts entwickelte ein anderes Nürnberger Unternehmen einen Spritzgussautomaten mit Schneckenkolben. Um 1960 existierten die ersten Zweifarben-Spritzgussanlagen, 1971 folgte eine programmierbare Maschine zum Spritzgiessen. Zur Datenübermittlung dienten Lochstreifen.
Schnecken-Spritzgussmaschinen
Moderne Spritzgussautomaten für die Massenproduktion sind Schnecken-Spritzgussmaschinen. Softwaremodule regeln sämtliche Prozesse und in vielen Fällen existiert eine Einbindung der Maschinen in externe Kommunikationssysteme. Die Anlagen arbeiten zunehmend virtuell. Die Produkte entstehen aus Kunststoffen in Granulat- oder Fadenform. Einkomponentenmaschinen verarbeiten eine bestimmte Kunststoffart. Zweikomponentenmaschinen eignen sich für unterschiedliche Kunststoffsorten und mehrfarbige Fertigteile. Zweikomponentenautomaten sind in der Lage, in einem einzigen Prozessschritt, Kunststoffe miteinander zu verbinden.
Von der Idee zum Endprodukt – Wie entsteht ein Spritzgussteil?
Am Anfang steht ein Gedanke. Bevor der Spritzgusshersteller in der Lage ist, diesen zu verwirklichen, benötigt er Fachleute aus dem Werkzeug- und Formenbau. Diese fertigen ein Werkzeug, dessen Hohlraum die Negativform des Endprodukts darstellt. Solche Spritzgusswerkzeuge unterliegen starken thermischen und mechanischen Belastungen. Präzision und ein geeigneter Werkzeugstahl sind notwendig, damit es nicht zu Beeinträchtigungen der Gebrauchsfähigkeit des Fertigteils kommt. Anpassungen und Veränderungen am Endprodukt erfordern die Neukonstruktion des Werkzeugs.
Somit stellt der Formenbau den grössten Kostenblock bei der Neuentwicklung eines Kunststoffteils dar. Geht es zunächst um die Produktion eines Prototyps, Testläufe und den Markteinstieg mit einer Innovation, setzen Spritzgusshersteller sogenannte Soft-Tooling-Werkzeuge ein. Diese bestehen aus Aluminium und lassen sich im Vergleich zu Stahlwerkzeugen günstig und kurzfristig herstellen. Sobald ein Produkt ausgereift und etabliert ist, lohnt sich die Herstellung eines massgeschneiderten Präzisionswerkzeugs aus Stahl.
Das Spritzgiessen durchläuft fünf Prozessschritte:
- Plastifizieren
- Dosieren
- Einspritzen und Nachdrücken
- Abkühlen und Aushärten
- Entformen
Während des Plastifizierens gelangt der Kunststoff aus einem Fülltrichter zwischen einen beheizten Zylindermantel und eine sich drehende Förderschnecke. Während des Schmelzens erfolgt die Homogenisierung (das Plastifizieren) der Masse. Die Schnecke transportiert den Kunststoff an die Schneckenspitze. Nach dem Erreichen der erforderlichen Menge (Dosierung) spritzt eine Düse die flüssige Masse in das Werkzeug. Permanentes Nachdrücken gleicht den, durch das Aushärten entstehenden Materialschwund aus. Anschliessend beginnen die Kühlphase und das Härten des Kunststoffteils im Werkzeug. Dieses öffnet sich nach dem Aushärten und gibt das Spritzgussteil frei. Ein Auswerfsystem entformt das Fertigteil, das Werkzeug schliesst sich und der Prozess beginnt von vorne.
Rohmaterial für Spritzguss
Spritzgiessen ist wirtschaftlich, vielseitig und ressourcenschonend
Die diversen Kunststoffe verhalten sich unterschiedlich. Das verwendete Rohmaterial bestimmt den Druck, die Temperatur und die Zykluszeiten. Thermoplaste verziehen sich unter Hitzeeinwirkung, während Duroplaste ihre Form bewahren. Elastomere verformen sich unter Druck und nehmen anschließend ihre Ursprungsform ein. Die Materialabfälle eignen sich zur Wiederverwertung. Im Fall von Thermoplasten besteht die Möglichkeit, der Spritzgiessmasse ohne Wertminderung bis zu 20 Prozent recyceltes Granulat hinzuzufügen.
Die Spritzgusstechnik ist heute das Hauptverfahren zur Verwertung von Recyclingmaterial.
Spritzgiessen ist die wichtigste Methode, um Kunststoff zu verarbeiten. Das Verfahren ermöglicht eine annähernd uneingeschränkte Wahl von Produktformen und -oberflächen. Etwaigen Nachbearbeitungen wie Fräsen, Drehen, Bohren, Stanzen und Gewindeschneiden sind keine Grenzen gesetzt. Geeignete Anschlussverfahren, wie das Konditionieren und Tempern, modifizieren die mechanischen und sonstigen Eigenschaften des Fertigprodukts. Spritzgussteile lassen sich ionisieren, lackieren, bedrucken, laserbeschriften und gravieren. Im Spritzgussverfahren entstehen winzige Bauteile und riesige Behälter. Einzelstücke und Massenartikel. Einfache Dutzendware und Produkte mit komplizierter Geometrie. Mit einem einzigen Werkzeug ist es möglich, Kunststoffteile millionenfach, in gleichbleibender Qualität herzustellen.
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